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Podiumsgespräch mit Prof. Lubimov und Prof. Hammer über Fragen u. a. der historischen Aufführungspraxis.
Die achtzehn Charakterstücke, das letzte vollendete Klavierwerk Tschaikowskys überhaupt, bilden in ihrem poetischen Tonfall und ihrer feinsinnigen Virtuosität einen Kontrapunkt zur starken Melancholie und Abschiedsstimmung im zeitgleich entstandenen orchestralen Spätwerk, der Pathétique genannten 6. Symphonie, op. 74.
In seinen letzten Lebensjahren hatte Tschaikowsky, obgleich er große künstlerische Erfolge feiern konnte, schmerzhafte Verluste erfahren. 1890 bricht seine langjährige Mäzenin Nadeschda von Meck die innige platonische Beziehung zu ihm ab und 1891 stirbt seine geliebte Schwester Alexandra. Zeit seines Lebens war der menschenscheue Tschaikowsky oft in instabiler depressiver Verfassung. Die einzelnen Morceaux der Achtzehn Klavierstücke, op. 72 wirken vordergründig frei von Todesahnungen, spiegeln in ihrer Gegensätzlichkeit und Mehrdeutigkeit Lebenseindrücke in ihrer ganzen Vielschichtigkeit. Überwundene Traurigkeit und ein subtiler Abschiedsschmerz schimmern im Subtext dabei durch. Deutlich hörbar ist die Nähe zum kurz zuvor publizierten Ballett Der Nussknacker, op. 71. So klingen in Nr. 11 Valse bluette Motive aus dem Divertissement „Le chocolat“ und dem berühmten Blumenwalzer der Ballettsuite an. Daneben nimmt Tschaikowsky in der Tradition von Parodien die verschiedenen Stile der großen Vertreter der Klaviermusik des 19. Jahrhunderts auf: Schumann (Nr. 9), Chopin (Nr. 15) und Liszt (Nr. 3). Melodische Schönheit und russisch-ukrainisches Kolorit z.B. im Trépak des Finales verbinden sich mit Finesse des virtuosen Klaviersatzes. Perkussive Elemente in der Coda lassen bereits Zukunftsmusik von Strawinskys Tonsprache erahnen.
Diesen Zyklus setzen kaum Pianisten aufs Programm. Allerdings gibt es nun endlich eine Referenzaufnahme….Und was soll man sagen: Die Platte ist ein Gedicht. Makellos in der Brillanz, liebevoll in den Details, mit großem Atem, reifer Noblesse. …Wer meint, das könne man alles mal so nebenbei vom Blatt spielen, wird spätestens beim zehnten Stück kapitulieren, einem Scherzo, das nur so über die Tasten fliegt…Auch frühere Platten von ihr (mit Prokofieff oder Beethovens „Hammerklaviersonate“) kündeten von ihrer fulminanten Kompetenz. In Tschaikowskis Vermächtnis zeigt sie erneut, was sie kann – es ist sehr, sehr viel.
Wolfram Goertz, Rheinische Post, 13.5.2024
sinnlich und kontrapunktisch virtuos gespielt, Evgenia Rubinovas Hommage an Tschaikowsky
3sat-Mediathek Musiktipp, 15.5.2024
In diesen persönlichen Miniaturen spiegeln sich seine spätromantischen Ideen auf sehr komprimierte Weise: Méditation, Mazurque, Impromptu, Dialogue … Hier setzt auch Evgenia Rubinova an, die die Dichte an Einfällen und Nebenstimmen, an gesanglichen Linien und Echo-Wirkungen genau einfängt – ohne Schickschnack, ohne Effekte, dafür sehr auf die musikalische Vorlage konzentriert. So ist ein durchweg privates Album entstanden, bei dem man meint, direkt in Tschaikowskys Arbeitszimmer einzutreten. Die Herausforderung dieser Stücke lauert darin, eine gelegentliche Zweideutigkeit hörbar zu machen: Melancholie und Freude, Leichtigkeit und Schmerz. Genau das bringt Evgenia Rubinova in diesen achtzehn Miniaturen zum Ausdruck.
Christoph Vratz, Concerti, 29.5.2024
Evgenia Rubinova ist eine hervorragende Pianistin, sie bewegt sich souverän durch diese unprätentiöse Welt der Schönheiten, die etwas ganz anderes verlangt als das Klavierkonzert: nämlich das sich Einlassen auf den eigenen Klang und dessen Vertiefung durch das Seelenempfinden. Darstellung ist nicht das Hauptanliegen dieses Werks. Es handelt sich um eine Erzählung. Und mit ihren herausragenden Qualitäten ist Rubinova eine großartige Erzählerin.“
PIANIST Juni 2024
Deutschland, Russland und Usbekistan sind die Kulturen, die mich geprägt haben:
In Usbekistan: die vielschichtigen Rhythmen in der traditionellen Musik (5/8, 7/8); der allgegenwärtige Gesang; die Farben und Gerüche; die Vielfältigkeit.
In Russland: die Metrik und Phrasierung der Sprache mit ihrem Einfluss auf Metrik und Phrasierung der Musik; der umschreibende, bildhafte Charakter der Sprache; die Lyrik; Landschaften und Licht des Nordens; die Maßlosigkeit, die Volkslieder, die Lehrtraditionen.
In Deutschland: der prägnante Sprachrhythmus mit seinem Einfluss auf das musikalische Empfinden; die Präzision der Sprache; die Systematik in Sprache und Denken.
Das Leben in verschiedenen Kulturen prägt die Selbsterkenntnis, weil man aus der Perspektive einer fremden Kultur einen neuen Blick auf sich selbst bekommt. Von außen kommend, sich in eine neue Kultur einzuleben, entwickelt Einfühlungsvermögen. Auf die Interpretation übertragen, bedeutet dies: ein komplexes Fundament der künstlerischen Persönlichkeit, und Offenheit, sich in Werke unterschiedlicher Komponisten und Stile einzuleben.